HGG-Schülerin Charis Heck belegt den 2. Platz

Nach einer erfolgreichen Premiere des Aachener Jugend-Lyrikpreises im vergangenen Jahr gab es 2022 eine erweiterte Auflage des Preisausschreibens für junge Dichter*innen der Jahrgangsstufen 7 bis Q2. Charis Heck nahm als Schülerin der Jahrgangsstufe 9 an dem Wettbewerb teil und belegte den zweiten Platz. Wir gratulieren zu dieser hervorragenden Leistung und freuen uns, ihren Text „Schweigen, schreien“ an dieser Stelle zu veröffentlichen:

 

Schweigen, schreien

Klein.
Klein und Sprachlos
zu allem, was auf der Welt geschieht,
voller Wut, die nicht nach Draußen zieht,
Flüche, Schluchzen, Trauer
verlieren sich
zwischen meinem Mund und dem nächsten Passanten
Schweigend geh ich
durch die Stadt, trotz der vielen Worte.
Alltäglichkeit, lauer Wind,
bis alle Worte verdunstet sind.
Mord? Krieg? Tod? Alltäglich übertönt von anderen Fragen,
Schule! Freunde! Alltag! Warum soll ich wagen,
an was anderes zu denken als an mich?
Meine Zukunft, mein Studium, die Mathearbeit, die Deutschhausaufgaben getragen
von der Alltäglichkeit.
Wo bleibt da die Wut?

Ist doch eh ein alter Hut,
was kann ich da noch sagen,
gibt es nicht genug, die klagen
und im Alltagslärm versinken?
Nur ein kurzes Winken,
überspült von Wellen der Alltäglichkeit,
von Social Media, Netflix, anderer Dringlichkeit – ist das unsere Wirklichkeit?
Oder die Frage: Darf ich wirklich essen?
nicht viel, nicht genug, nur ein Bissen,
oder das
an jemanden geben, der nichts besitzt.

Wie kann es sein, dass die Welt vergisst?
Ist es das, was Moral und Menschlichkeit erreicht?

Wie der Große
Westen euch die Hände reicht?
Syrien, Afghanistan, Südsudan,
Warum kommt ihr Kopftuchträger her –
haben wir‘s nicht selbst schon schwer?
Arbeitslosengelderhöhung, immer mehr für die Faulsten fordern
hat die Politik nicht genug Geld zu verschleudern?
COVID-Impfung, Maske tragen,
wofür noch den Wähler fragen?
„Ist doch eh nur alles Fake und Lügen, hier gibt’s gar keine Meinungsfreiheit!“

– ist das eure Wahrheit?
Oder doch der Hunger unter heißer Sonne,
ausgebrannte Erde in den Händen
und im Bauch den nahen Tod –
warten hinter einer Ecke, zitternd, wenn mich die Soldaten finden – ist das nur meine Not?
Wenn ich weiß, ich sterbe hier allein,
nichts bei mir bis auf mein Schrei‘n,
und die Welt hat mich vergessen.

– Wie komm ich heut an Essen
Für meinen Sohn,
wie an Decken,
damit meine Tochter nicht erfriert?
Wie kann es sein, dass diese Frage sich verliert, es unmöglich ist, die Welt zu wecken?

Wer will mein Flehen hören?
Meinem Kind hilft es nicht, wenn Politik und Staaten schwören,
„Wir werden etwas ändern, jetzt, ganz bald,
noch in dieser Amtszeit!“
(aber dann gibt es noch das ArbeitslosengelddieLohnerhöhungdieInflationdasCoronaVirusdiesozialeUngleichbere chtigungdiemarodenSchulenundwennwirnocheinbisschenZeithabenkümmernwirunsvi elleichtnochumdenKlimawandel,
wo fangen wir da an?

Am besten gar nicht, wenn man doch nichts ändern kann.)
Ist doch einfacher zu sagen, dass es sie gar nicht gibt, die Angst, den Hunger, es ist doch alles nur Geflunker …

… und ich bleibe … benommen.
Wo ist das hergekommen,
die Resignation, die Gleichgültigkeit,
unter der man die Wut nicht mehr fühlt
die alles verhüllt?
Ist das die Wirklichkeit?
Dass ich an allem nichts ändern kann und schweige, dass ich mir eingestehe: du bist feige,
du kannst das nicht,
es bringt doch nichts,
dein Schreien und Wimmern,
die Welt ist tot,
du spürst ja nicht einmal selbst die Not!
Schweig und halt dir die Augen zu, sieh ein,
dass du klein bist,
Sieh ein, dass die Angst dich frisst –

Du bist klein!
Schweig, um deine Zeit nicht zu verlieren, um wie die Anderen tot zu spielen
… tot zu sein.

Will ich leben?